oder: Warum diese Welt nicht zugrunde gehen wird
Aus der brennenden Hütte | https://inferno.noblogs.org
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Die Welt wie wir sie kennen, befindet sich im Umbruch. Viele reden von einem Rechtsruck, gar einer Faschisierung, also der Rückkehr des historischen Faschismus in neuem Gewand, andere wiederum von der finalen Krise des Kapitalismus, gar dem Untergang der menschlichen Zivilisation; wobei sich beide Deutungen gegenseitig nicht ausschließen. Wir möchten eine dritte Position behaupten. Eine Position, die davon ausgeht, dass wir weder vor der finalen Krise des Kapitalismus stehen, weder vor dem Untergang der menschlichen Zivilisation, noch, dass der historische Faschismus in neuen Kleidern zurückkehren wird, sondern im Gegenteil: Wir stehen vor der Möglichkeit eines Ökologischen Akkumulationsregimes, das die bestehende Katastrophe in einer neuen Qualität fortführen wird. Dieses wird sich quer zu oben genannten Deutungen, eben durch all das und gerade eben nicht durch all das auszeichnen: Grüner Totalitarismus, Stabilität in Instabilität und Entmenschlichung der Menschen.
Ökonomie
Beginnen wir mit der Stabilität in Instabilität. Nachdem man historisch von einem Übergang vom fordistischen zu einem postfordistischen oder neoliberalen Akkumulationsregime sprechen konnte, befinden wir uns aktuell in einer Phase, in der um die Ausbildung eines neuen Akkumulationsregimes gerungen wird. Getrieben durch den tendenziellen Fall der Profitrate und der sich in einer Krise befindenden Mehrwertproduktion, hat sich mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie die Krise unserer modernen Zivilisation, die weit über das kapitalistische System hinausgeht, manifestiert. Allerdings ist die Manifestation einer Krise bereits Anzeichen dafür, dass diese längst vorher begonnen hat und im Moment der Krise schon das Neue im Entstehen ist. Insofern befinden wir uns mittendrin. Die Anrufung der ökologischen Krise in Form des Katastrophismus schafft dabei die Integrationsfähigkeit und Legitimation zur Durchsetzung des Ökologischen Akkumulationsregimes, welches z. B. Unter den Namen „Green New Deal“ oder „Sozial-Ökologische Transformation“ sein konkretes Programm formuliert.
Ökonomisch zeichnet es sich durch neue Formen des Extraktivismus und der Landnahme aus. Erneuerbare Energien und Technologien versprechen ideologisch einen harmonischen, unendlichen Kreislauf, faktisch werden damit global neue Territorien der Ressourcenausbeutung, Absatzmärkte und Wirtschaftskreisläufe zur Stabilisierung und Erweiterung der Mehrwertproduktion erschlossen.
KI-Programme, Soziale Medien und Plattformen, bzw. allgemeiner und präziser formuliert Algorithmen sind dabei als zweite Achse der neuen Kapitalakkumulation zentral. Sie dienen der Organisation, Regulierung, schlicht der Vernetzung dieser neuen Energien und Technologien. Zudem versprechen sie einen qualitativen Sprung in der Automatisierung von Arbeitsvorgängen, der das globale Arbeitsregime bereits jetzt umwälzt und zu erneuten Produktivitätssteigerungen und entsprechenden Reichtumsumverteilungen führen könnte. Doch der Extraktivismus und die Landnahme in diesem Bereich betrifft auch das Nicht-Materielle des Menschen. Beziehungen, Emotionen und Affekte werden vermessen, in Informationen zerstückelt und zu wertförmigen Daten umgewandelt. Drittens greift der Extraktivismus und die Landnahme des Ökologischen Akkumulationsregimes auf den Reproduktionsbereich zu. Obwohl sich das, was wir die Care-Ökonomie nennen, nur begrenzt automatisieren, rationalisieren, ja überhaupt in Wert setzen lässt, fokussiert das neue Regime eben genau auf die bisher noch nicht bzw. wenig kommodifizierten Bereiche unseres Lebens, um die Begrenzungen zu überwinden. Durch Robotisierung, Biotechnologien, Algorithmisierung und Kybernetisierung von Abläufen, sind Profitsteigerungen durchaus denkbar. Gerade wenn wir über die Care-Ökonomie hinaus denken und die Reproduktion des (Über-)lebens als Ganzes in den Blick nehmen, erscheinen in den Bio- und Reproduktionstechnologien, in der Genforschung und in der Gehirn-Computer-Schnittstellenforschung ungeahnte Möglichkeiten, den Körper und Leib zu kolonialisieren; Geschäfts-, Forschungsberichte und bereits auf dem Markt befindliche Produkte von Big-Pharma- und Startupunternehmen sprechen Bände davon.
Grundsätzlich ist unsere moderne, kapitalistische Zivilisation trotz alledem an die Grenzen des Wachstums, an die Grenzen, die unsere Seelen und Körper der Ausbeutung und Herrschaft aufzeigen, und an die Grenzen unseres Planeten gebunden. Damit bleibt die Potentialität des Ökologischen Akkumuationsregimes, Stabilität herzustellen, zugleich immer an seine eigene Instabilität gebunden.
Ökolokratie
Dass wir den Begriff des Grünen Totalitarismus genannt haben, dient lediglich dazu, einmal die mit diesem Begriff verbundenen historischen Assoziationen hervorzurufen, um die ganze Niederträchtigkeit des neuen politischen Regimes, was wir ab jetzt Ökolokratie nennen, zu veranschaulichen. Ein Totalitarismus, der durch seinen Forminhalt des Katastrophismus höchst flexibel ist. In dieser Form kann er sich beliebig über jedes Phänomen stülpen, ob es nun die Klimakatastrophe, eine Pandemie oder Krieg ist. Das ist der fundamentale Wesensunterschied zum historischen Faschismus, der seine Grundlage in einer postulierten Homogenität einer Entität hat.
Politisch und ideologisch äußert sich das Ökologische Akkumulationsregime durch den Traum von einer vollkommenen Kontrolle der Natur, in dem das Überleben als Ganzes von der Katastrophenverwaltung organisiert, reguliert und stückchenweise in Warenproduktion zurückverkauft wird. Dabei können wir die Etablierung eines Ausnahmezustands beobachten, der sich mit der Aussetzung des Rechts im Namen des Rechts, zwischen bürgerlicher Demokratie und Absolutismus, zwischen Recht und Politik bewegt und in einer zirkulären Bewegung immer wieder zu einem permanenten Ausnahmezustand gerinnt, bis erneut – legitimiert durch eine (echte) Katastrophe – der klassische Ausnahmezustand ausgerufen wird. Diese Permanenz des Ausnahmezustands verdeutlicht sich beispielsweise an der „Politik“ der Verordnungen und Allgemeinverfügungen und ideologisch an Sachzwangargumenten und technologischen Lösungsvorschlägen. Man kann also von einem Katastrophenverwaltungsstaat reden, der alles gesellschaftliche Leben, sei es nun sein Eigenes oder das anderer Gesellschaften, nur noch als Bedrohung und Risiko betrachten kann. So braucht es die Nationale Sicherheit (Bundeswehr, zivil-militärische Zusammenarbeit, THW, Heimatschutz), präventive Politik in den wohlfahrtsstaatlichen Institutionen und die Mobilmachung der ganzen Gesellschaft, gegen die Gesellschaft, im Namen der Gesellschaft.
Auch hier spielen die Algorithmen und die Reproduktions- und Biotechnologien eine entscheidende Rolle in der Beherrschung der Subjekte. Zum einen sind es die Selbsttechniken, zum Beispiel der Preparedness, die uns lehren, die permanente Unsicherheit von uns und in uns aufzufangen, zum anderen sind es die Biotechnologien, die uns Kontrolle über unseren Körper anbieten. Die Algorithmen hingegen spielen eine doppelte Rolle: Während uns die Algorithmen im Allgemeinen in ihrer vermeintlichen Unbestechlichkeit die Berechenbarkeit der Welt vorgaukeln und damit beruhigen, uns zum anderen aber auch die Unausweichlichkeit der Welt vor Augen halten, dienen sie konkret zur Regulierung des Katastrophenverwaltungsstaates, in dem durch das Sammeln von Informationen und Daten Vorhersagen, Diagnosen und Lösungen erarbeitet werden. Der Zweck ist die Erhaltung und die permanente Einübung der Akzeptanz des Status Quo. In der unheiligen Allianz von Algorithmus, Katastrophenverwaltungsstaat und Biotechnologien und -politiken wird der Leib auf den Körper reduziert. Denn zur Aufrechterhaltung der Herrschaft ist der Leib dysfunktional. Unterstrichen wird diese Tendenz durch die anhaltende Digitalisierung unseres Lebens, in der wir uns sicher und steril vom Compkuter aus mit anderen in Kontakt setzen und das stumpfe Denken in Einsen und Nullen einüben. So führt die Ökolokratie letztendlich in eine Vereinzelung, Entmaterialisierung des Lebens und Kolonialisierung der Seele; das, was wir zu Anfang Entmenschlichung der Menschen genannt haben. Im Kontext der politischen Form des Ökologischen Akkumulationsregimes sollten wir dabei nicht dem Irrtum anheim fallen zu glauben, dass dieses auschließlich von einer der politischen Milieus oder Klassen, wie wir sie bisher kennen, repräsentiert oder getragen wird. Im Gegenteil: In diesem Regime können Rechte, wie (selbsternannte) Linke Teil der das Projekt tragenden Eliten sein, wenn sie, und so scheint es aktuell, beide auf den Katastrophismus bezogen sind. Während die Rechte die Enthemmung im Sinne einer Befreiung von der Einschränkung des Genießens betreibt, also nicht mehr im Dienst des Verbots, sondern im Dienst der Freiheit als Zurückweisung der Expertenautorität, handelt, ist die Linke genau in diesem Diskurs, dem Diskurs der Universität, in der Expertise der Macht gefangen. Auch ihre Enthemmung besteht in der Projektion, dass die Befreiung von der Einschränkung des Genießens möglich sei. Allerdings wird diese nicht über das Zurückweisen des Verbots organisiert, sondern über das Wissen, welches einem ermöglichen soll, durch Regeln, Disziplin und Verzicht dieses Genießen zu erreichen. Beides aber sind Verdrängungsdiskurse: Der rechte Diskurs ist eine einfache Verdrängung, die sich beispielsweise in schlichter Ignoranz gegenüber dem menschengemachten Klimawandel zeigt. Die Linke betreibt hingegen eine sekundäre Verdrängung durch Verniedlichung des Entsetzlichen. Ihre Logik ist die der dramatischen Überhöhung der Krise, die dann in Einzelteile zerlegt und sukzessive verkleinert dargestellt wird. Apokalypse, Klimakrise, Karbonisierung macht Dekarbonisierung nötig, macht E-Roller, Solarpanels und kostenlosen öffentlichen Nahverkehr nötig. Das Gegenteil von Maßnahmen, die einer Katastrophe angemessen wären. Linke wie Rechte spalten also einen Teil der Realität und der in ihr gemachten Erfahrungen ab. Die Beherrschbarkeit der Katastrophe wird zu Behebung der Katastrophe. Die Grüne Bürokratie ist nichts anderes als die vollkommene Verwaltung des Überlebens. Wir können also von einem postideologischen Totalitarismus reden, der das Ökologische Akkumulationsregime nicht ausschließlich an den Idealtypus des deutschen Grünen bindet.
Ein zweiter Aspekt, der die Flexibilität und Offenheit in Bezug auf die politische Klasse verdeutlicht, ist der Begriff der Sicherheit, den wir als herbeigesehnten Zustand ohne Sorge verstehen, der sowohl von Rechten, Linken und Grünen verwendet wird. Psychoanalytisch gesprochen kleidet die ursprüngliche Einheit von Mensch und Natur/Umwelt, die nicht existiert, nur das Phantasma der prinzipiellen Getrenntheit des Menschen von seiner Umgebung und Anderen aus. Damit ist Angewiesenheit auf Andere immer Mangel, weil er Abhängigkeit aufzeigt. Weil Angewiesenheit aber auch zurückgewiesen werden kann, sind wir abhängig und unabhängig zugleich und versuchen einen Umgang mit unserer prinzipiellen Verwiesenheit zu finden. Insofern ist das liberale und rechte Streben nach Sicherheit, nicht ganz überraschend, ein patriarchales, da es im Geiste des bürgerlich-autonomen Subjekts versucht, die Aporie der (Un)abhängigkeit in die Illusion absoluter Freiheit und die Negation der Verwiesenheit aufzulösen. Das entsprechende Prinzip von links ist die Totalisierung der Angewiesenheit, die durch kollektive Absicherung und Auslagerung der Autonomie, absolute Sicherheit schaffen soll, am Ende aber auch dem Phantasma der ursprünglichen Einheit von Mensch und Umwelt erliegt. Denn es gibt immer die Möglichkeit, dass sich die Andere anders verhält, als ich es verlange, eben weil sie von mir getrennt ist. Als Unterworfene gibt es immer die Möglichkeit, dass ich entscheide mich anders zu verhalten, als von mir verlangt wird, eben weil ich vom Anderen getrennt bin. So kann es weder Freiheit als absolute Autonomie, noch Sicherheit als Kontrolle meiner / prinzipieller Abhängigkeit geben. Letztendlich arbeiten all diese politischen Milieus, die einen bewusst, die anderen unbewusst, an der Patriarchalisierung der Sorge, die Freiheit über individuelle oder kollektive Sicherheit schaffen soll.
Ökologische Subjekte
Doch wie sehen die Subjekte des Ökologischen Akkumulationsregimes aus? In unseren vergangenen Texten sprachen wir von der Neoliberalen Subjektivierung, um zunächst die Subjektstrukturen zu verstehen, die sich die letzten Jahre und Jahrzehnte herausgebildet haben. Noch relativ am Anfang unserer Auseinandersetzung möchten wir den Begriff des Ökologischen Subjekts einführen, um damit zumindest erste Phänomene zu umreißen, die uns als Teile der neuen Subjektkonstitution erscheinen. Das neoliberale Subjekt kannte oder brauchte keine Gesellschaft mehr, es war Unternehmer*in seiner Selbst und damit auch selbst Schuld an seinem Schicksal: Moral statt Politik. Fremd- und Selbsteinwirkung fielen im Subjekt zusammen. Regelwerke und Verhaltensregeln sollten Orientierung und Sicherheit geben. Es galt: Genieße und sei diszipliniert. Die Kontrollfunktion des „Vaters“ als Über-Ich wurde ersetzt durch den Diskurs der Universität. Heute erleben wir gerade in den jüngeren Generationen die Ablösung des Über-Ichs durch das Ich-Ideal, also eine weitere Verlagerung der Herrschaft in unser eigenes Bewusstsein. Das Ich-Ideal ist das Ideal, dass man von sich selbst hat, ohne wirklich zu verstehen, dass es zu einem Teil gesellschaftlich vermittelt ist. Wie bereits der Topos des Ideals beschreibt, ist dieses unerreichbar für die Individuen, lediglich eine Annährung ist möglich. Nichtsdestotrotz wird diese permanente Annährung, das Nichterreichen, als ein Scheitern empfunden, das wiederum die Anstrengungen, das Ideal durch weitere selbstauferlegte Regeln zu erreichen, nur verstärkt. Hier verlagert sich auf subtile Weise das Schuldempfinden der neoliberalen Subjektivität in ein Minderwertigkeitsempfinden des Ökologischen Subjekts. Dies macht nicht nur die Qual und damit die Empfänglichkeit der Subjekte für Angebote aus, vielleicht doch noch ihr Ideal zu erreichen, sondern auch das Paradoxon der Ich-Bezogenheit bei gleichzeitiger agressiver Bezogenheit auf das Außen. Auf der anderen Seite existiert ein intrinsisch menschlicher Antrieb, der auf den in jedem von uns vorhandenen Narzissmus aufbaut, das Bedürfnis nach Bestätigung und Anerkennung. Allerdings wird dieser im Kapitalismus überformt und das narzisstische Subjekt fällt in eins mit seiner Selbstidentifikation: Ich bin die letzte Wahrheit!
Im ökologischen Modernisierungsdiskurs kann man nun beobachten, wie die Gesellschaft zurückkehrt. Nicht als notwendige Entität der Anerkennung im hegelschen Sinne, sondern als Publikum, das der Narzisst zur Bestätigung, zur Kontrolle seiner Selbst braucht. In dieser Funktion nimmt die Gesellschaft lediglich die Rolle einer bildlichen Oberfläche meiner Selbst ein, obwohl ideologisch eine gegenseitige Abhängigkeit und Verantwortung propagiert wird. Die Verregelung, um sich dem Ich-Ideal zu nähern, wird in Verbindung mit der Anrufung einer ausgewählten Katastrophe gebracht, die die Gesellschaft so am besten zu meistern glaubt. Im Umgang mit Corona, beim Energiesparen während des Ukrainekriegs oder beim Wassersparen predigt man im Verweis auf die Verantwortung für eine abstrakte Menschheit einen individuellen Verzicht und empfindet dabei Lust. Die kollektive Bezugnahme und das Verhältnis zur Gesellschaft ist aber individualistisch und narzisstisch. Es entsteht eine Spannung, in der man für die Gesellschaft verzichten soll, während die Gesellschaftlichkeit als Gefahr, als eben auch undankbares Publikum konzipiert wird und rein individuelle Handlungsmöglichkeiten bestehen. Die entstehende Spannung kann sich unterschiedlich äußern: in einer Verregelung des eigenen Lebens und einer moralischen Überheblichkeit und Verachtung gegenüber Anderen, die nicht das gleiche tun; im individualistischen Preppen, um bei Eintreten der Katastrophe überleben zu können; oder in der Hoffnung und dem Antrieb, die Welt zu retten – was meist auch von einer Verregelung und einer moralischen Überheblichkeit begleitet wird. So oder so muss die Resilienz, die das Ökologische Subjekt in dieser Spannung entwickelt, als das bezeichnet werden, was sie ist: die Verinnerlichung der Polizei, die polizeiliche Be-lagerung der Seele. Das Ökologische Subjekt ist eines, das sich als minderwertig empfindet, weil es sein Ich-Ideal nicht erreicht, und dabei in permanenter Angst und Freude auf das ausbuhende oder johlende Publikum namens Gesellschaft angewiesen ist. Antigesellschaft als Gesellschaft und Antimoral als Moral. Der Katastrophismus dient dabei der Mobilisierung der sich freiwillig unterwerfenden Subjekte. Gleichzeitig scheint es in seiner doppelten Eigenschaft als intrinsisch narzisstisch und als gesellschaftlich motiviert besonders offen bzw. inhaltsleer oder flexibel, schlicht konform: Optimismus und Aufbruchsmentalität bei gleichzeitig ausgeprägtem Problembewusstsein für die planetaren Herausforderungen; Selbstbild als Changemaker und Impulsgeber der globalen Transformation; offen für neue Wertesynthesen: Disruption und Pragmatismus, Erfolg und Nachhaltigkeit, Party und Protest; Nachhaltiger Lebensstil ohne Verzichtsideologie, protestantische Verzichtsethik mit oder als Hedonismus.
Neben diesen eher psychoanalytischen Überlegungen zur Subjektivierung spielen auch hier die Bio- und Reproduktionstechnologien wie auch die Algorithmisierung eine wichtige Rolle, indem sie die Subjekte zu Teilen eines maschinellen Gefüges machen (Rolle als User, Rohstoff, Werkzeug oder als Produkt) und sich das Denken zunehmend in ein maschinelles Denken verwandelt. So könnte man auch von einer technologischen Subjektivierung und Rationalität sprechen, die die Seele kolonialisiert, sie in unterschiedliche Informationen aufspaltet, in Daten neu zusammensetzt, diese wiederum in Informationen spaltet usw. usf. Es ist wie das Zerreißen der Seele in Horkruxe, nur dass die Seele nichts dem Menschen Innewohnendes ist. Sie ist von Atem und Wind durchströmt, sie ist das Lebendige, was uns mit der Welt verbindet. Die Katastrophe ist nicht mehr die christliche Apokalypse, die eine Unterbrechung der sündenhaften Welt verspricht, sondern in ihrer säkularisierten Form nur noch eine Simplifizierung und Quantifizierung in Fakten, Zahlen und Bildern, die verbergen sollen, dass der Katastrophismus keine Erlösung vorsieht. Die Medialisierung tut ihren Rest durch das Auslöschen von mehrdimensionaler Erfahrung, in der die Bilder des Lebens das Leben selbst ersetzen. Die Realität der Katastrophe ist unbegreiflich, wenn man dazu genau die Mittel verwendet, die dazu beigetragen haben, sie herbeizuführen.
Zu guter Letzt, aber nicht schlussendlich, möchten wir mindestens einen Satz zur radikalsten Erscheinungsform des oben Beschriebenen verlieren, dem Transhumanismus. Dieser ist vermutlich die erschreckendste Repräsentation des Ökologischen Akkumulationsregimes, weil er die Grenzen des Kapitalismus nicht mehr nur ausdehnen, sondern aufheben will. Ungeachtet der Frage nach seiner idealtypischen Realisierbarkeit ist der Transhumanismus, selten offen, meistens subkutan, ob in Form von bionischen Prothesen, künstlicher Organe, Gentherapien oder der augmented bzw. virtual reality bereits jetzt fester Bestandteil der sich abzeichnenden Epoche.
Begriff der Ökologie
Warum nennen wir dieses neue Akkumulationsregime also „ökologisch“? Bevor Ökologie im Alltagsverständnis zu einer Art Synonym für Naturschutz wurde, etablierte sich ab dem 19. Jahrhundert parallel zur Durchsetzung des Kapitalismus eine Definition, die Ökologie als Wissenschaft von den Beziehungen von organischem Leben zu der es umgebenden Außenwelt verstand. Die ökologische Frage fußt also auf der bürgerlichen Trennung zwischen Mensch und Natur, die die Natur objektiviert und verdinglicht. Überhaupt konnte diese Trennung den Begriff der Ökologie erst hervorbringen. So erleben wir heute die Inszenierung eines Schismas zwischen fossilem und grünen Kapitalismus oder zwischen fossilem Kapitalismus und Ökologie. Beide Trennungen verdecken jedoch das eigentliche Problem: Der Begriff der Ökologie dient als zentrales Dispositiv der kapitalistischen Enthemmung und auch linke Deutungen des Begriffs Ökologie reproduzieren die Verdinglichung der Natur, bleiben damit in der modernen, bürgerlichen Unterwerfung der Natur stecken. Insofern ist jeder Bezug auf Nachhaltigkeit und Regeneration, jenseits von politikwissenschaftlichen Oberflächlichkeiten, die Bejahung der sich wiederholenden und anhaltenden Zerstörung und Verwaltung des Lebens an und für sich. Es gibt keine echte Nachhaltigkeit und Regeneration, sondern nur die sofortige und notwendige Unterbrechung dieser, hält sie uns doch in der ewigen Schleife der kapitalistischen Gegenwart gefangen. So befinden wir uns aktuell in einem Niemandsland der Transzendenzverachtung und Immanenzverleugnung, das in seiner Tendenz immer totaler wird und aus dem es einen Ausweg zu suchen gilt.
Panorama der Herrschaft
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Das Ökologische Akkumulationsregime wird nicht nur „einfach“ neue Wirtschaftszweige erschließen, sondern beinhaltet ein neues, kapitalistisches Gesellschaftsprojekt, das nicht nur neue Wirtschaftsformen umfasst, sondern auch neue Rechts-, Politik-, Kultur- und Subjektformen. Gehen wir davon aus, dass sich in Zukunft das Ökologische Akkumulationsregime massiv durchsetzt, so könnte man ein düsteres Bild an die Wand werfen: Eine Welt, der Vervielfachung von Auseinandersetzungen um Ressourcen und Energie, in der es Orte gibt, die ökologischen Oasen gleichen: grün, satt, smart, digitalisiert, steril und prothesenhaft, während – zwischen diesen Oasen – die globale „dritte“ Welt durchzogen ist von Minenlöchern, Staudämmen, eng und unterworfen der Digitalisierung und den Biotechnologien als Mittel von Repression und Nekropolitik. Hier finden sich die Furchen der globalen und instabilen Infrastruktur und die Logistik des Kapitals, geschützt durch Militär und vielfältig umkämpft. Einzig in Frage gestellt durch die Ausgestoßenen, Unzufriedenen und Grenzgänger*innen in dieser Epoche. Unter diesen Bedingungen wird sich die internationale Arbeits- und Produktionsteilung, das Stadt-Landverhältnis, die Demographie, unser alltägliches Zusammenleben, unsere Physis selbst und die Beschaffenheit der Natur etc. pp. grundlegend verändern. Stellt euch das als Beschreibung eurer Stadt, eures Landes vor, mehr nicht …
Panorama der Dissidenz
Angesichts der düsteren Entwicklungstendenzen von weiterer Abstraktion, Totalisierung, subkutaner Verdichtung und Autoritarisierung von Herrschaft und Ausbeutung scheint uns der Kern der Suche nach neuen Strategien und Praxen in der Machtfrage zu liegen. Historisch gesehen ging es der Linken in ihren Strategien in ihrer großen Mehrheit immer darum, die Macht zu reformieren, zu erringen, zu erobern oder zumindest in Vorbereitung auf die Revolution die Machtverhältnisse zu verschieben oder Gegenmacht von Unten aufzubauen. Doch was ist, wenn die Macht zu mächtig, zu undurchsichtig, zu gerissen ist, um sie unserem Willen zu unterwerfen? Anstelle einer Strategie und Praxis, die sich in ein dialektisches Verhältnis zur Macht setzt, damit historisch oft gescheitert ist und gerade unter den aktuellen Bedingungen noch viel mehr auf verlorenem Posten steht, geht es unserer Meinung nach heute um einen methodischen (nicht prinzipiellen!) Bruch mit dieser Form der Machtfrage, wie sie seit Jahrzehnten in der Linken gestellt wird. Es geht darum, eine destitutive und desertierende Theorie und Praxis zu entwickeln, die weder in der Zerstörung der Macht, noch im Leben „als-ob-nicht“, als ob die Gesetze, Regeln und Normen nicht mehr gälten, aufgeht, sondern nur in ihrem Zusammenspiel der Machtfrage entrinnt. Erst in einer solchen, noch zu entwickelnden Idee können wir eine andere Zeitlichkeit und Räumlichkeit jenseits der des Kapitals schaffen, um aus der Gegenwartsgefangenheit, die sich allzu häufig als zukunftsorientiert tarnt, auszubrechen. Daraus können wiederum andere Formen der Kommunikation, Wahrnehmung und Bewegung ermöglicht, eine eigene Form der Politik entwickelt werden, die sich nicht vom Tagesgeschehen, Diskursen, (vermeintlich) realen Angriffen oder Defensiven des Kapitals lenken lässt, sondern ihre eigenen Punkte setzt und damit unberechenbar und unvorhersehbar wird.
Wir glauben, dass es einen Kern des Menschen gibt, etwas Unauslöschliches, nicht Kolonialisierbares: der Drang nach Freiheit, Gleichheit und Schönheit. Dort wird die kapitalistische Spätmoderne an ihre Grenzen kommen und scheitern. Die Non-Bewegungen weisen bereits in diese Richtung, auch wenn sie bisher nur Revolutionäre ohne Revolution hinterlassen haben. Es ist unsere Aufgabe — wir, die wir keine Non-Bewegten, sondern nur radikale Linke sind, also keine Revolutionäre, aber auch ohne Revolution — herauszufinden, wie eine destitutive und desertierende Praxis angesichts dieser Tatsache aussehen kann bzw. muss. Rauschen, Irritation, Verwirrung, Stille, Destruktion, Zuhören sind der Begriffskosmos, in dem wir nachdenken und handeln wollen. Seele, Wahrnehmung, Lebensform, grenzenlose Oasen und globale Kommunen sind der Begriffskosmos, in dem wir uns untereinander in Beziehung setzen wollen.