Lützi bleibt nicht – und jetzt?

Hiermit antworten wir auf den Aufruf der Anarchists in Lützerath, indem wir unsere Analyse und Gedanken zum Kampf um Lützi teilen.

Lützerath ist also weg. Was einige sich bis zur letzten Sekunde nicht vorstellen konnten und andere schon seit Monaten prophezeien, ist nun eingetroffen. Und nicht nur das: die Polizei hatte einen lächerlich einfachen Einsatz. Nachdem sich erst auf eine wochenlange Räumung eingestellt wurde, war Lützerath nach nur ein paar Tagen Polizeieinsatz Geschichte. Man kann die Beförderungen und Auszeichnungen schon erahnen, die der Polizei bald für so einen wunderbaren Einsatz verliehen werden.

Auf unserer Seite dagegen bleibt – wie so oft nach Räumungen oder anderen erschütternden Erfahrungen – nur ein tröstendes Wort: „wenigstens“. Wenigstens wurde viel berichtet, wenigstens bleiben die anderen Dörfer, wenigstens können wir daraus lernen, daran wachsen. Hiermit wollen wir uns deshalb dem Aufruf der Anarchists in Lützerath anschließen und unsere Gedanken zum Kampf um Lützerath teilen. Auf dass es nur der Anfang einer konstruktiven Debatte sein wird, die uns hilft, zu lernen wie wir den Kapitalismus zu Fall bringen können.

Zuerst das Positive: die kleinen Siege aus Lützerath
Ohne Zweifel gab es selten eine so umfangreiche Berichterstattung in den bürgerlichen Medien über die Räumung einer radikalen Besetzung wie diesmal. Dadurch wurden nicht nur emanzipatorischen Inhalte an die breite Bevölkerung vermittelt (nur ein kleiner Teil dieses Erfolgs ist zum Beispiel, dass mit der Berichterstattung über den Lützi Tunnel das erste Mal seit Ewigkeiten in Mainstream-Nachrichtensendungen das Wort „Anarchist*innen“ in einem positivien Tonfall fiel). Gerade im Vergleich zu vergangenen Besetzungen hat es erstaunlich gut funktioniert, den Widerstand in Lützerath in den Augen von Bürgis sympathisch und harmlos darzustellen und gleichzeitig radikale Inhalte zu vermitteln. Das wird hoffentlich in der nahen Zukunft weitere Bündnisse zwischen radikaleren und gemäßigteren Gruppen für Klimagerechtigkeit ermöglich. Und das ist dringend nötig, damit die Bewegung über die Blase hinaus wachsen und gesamtgesellschaftliche Sprengkraft entwickeln kann.

In Lützi war außerdem zu beobachten, dass viele Aktivisti, die Teil der Räumung waren, das erste Mal in einer Besetzung und erst Recht bei einer derartigen Konfrontation mit dem Staat dabei waren. Es ist nicht zu unterschätzen, wie erfolgreich es geschafft wurde, neue Menschen anzuziehen, für alternatives Leben zu begeistern, in einen größeren Zusammenhang zu integrieren und somit hoffentlich den ersten Schritt zu legen, um sie langfristig widerständig zu machen.

Die mobilisierende Kraft, die Lützi entwickelt hat, geht wahrscheinlich noch weit über die Menschen hinaus, die tatsächlich dort waren. Vermutlich gibt es viele Menschen, die bis zuletzt noch den Grünen vertraut haben, sich zurückgelehnt haben in dem Glaube, dass eine Regierung mit den Grünen das Thema Klima wohl irgendwie auf dem Schirm haben und das Problem lösen wird. Nicht wenige von ihnen merken jetzt, dass da etwas nicht stimmen kann. Wenn wir es schaffen, als Bewegung den Kontakt zu diesen Menschen aufrechtzuerhalten und weiter klarzumachen, dass unsere Rettung niemals von einer Regierung kommen wird, sondern immer selbst gemacht sein muss, dann haben wir vielleicht schon bald neue Gefährt*innen, die an unserer Seite kämpfen.

Trotzdem bleibt ein komischer Beigeschmack, wenn mensch sich sagt, Lützi sei ein voller Erfolg gewesen. Denn Lützi ist weg. Das Ziel war – wie die Parolen selber gesagt haben – dass Lützi bleibt. Es wäre deshalb völlig realitätsfern, nicht klar zu benennen, dass wir an dieser Stelle gegen den Staat und seine Übermacht eine klare Niederlage eingefahren haben. Gerade weil vor und während der Räumung von seiten der Aktivisti immer wieder betont wurde, wie wichtig es für die deutschen Klimaziele und das Weltklima ist, müssen wir jetzt klar benennnen wie desaströs es ist, dass wir versagt haben, es zu verteidigen. Wer wird denn weiterhin Aktivisti glauben, die etwas nur so lange wichtig finden bis es außer Reichweite ist und dann so tun als hätten sie eh immer andere Ziele gehabt? Doch genau das tun manche, wenn sie jetzt sagen „Lützi ist zwar weg, aber dafür hatten wir hier einen Riesenerfolg, weil wir ganz viele Leute waren und ganz viel über uns berichtet wurde“. Es kann doch nicht sein, dass wir behaupten, eine neue Welt aufbauen zu wollen, aber uns dann mit ein paar Zeitungsartikeln zufrieden geben… Entweder ist es uns wichtig, Kohle im Boden zu lassen, die Konzerne zu stoppen und die Klimakrise anzuhalten oder nicht. Wir können unsere Ziele nicht nachträglich ändern, nur weil unsere Taten scheitern, unseren Zielen gerecht zu werden. Sondern wir müssen unsere Taten ändern, damit wir bei der nächsten Chance unsere Ziele erreichen können.

Es ist wichtig, dass wir als Bewegung lernen, langfristig und strategisch zu denken. Alles was in Lützerath gut lief (Berichterstattung, Mobilisierung) lässt sich als movement building zusammenfassen. Das heißt, die Bewegung geht hoffentlich personell und diskursiv gestärkt aus Lützerath hervor. Movement building ist aber nie ein Zweck an sich, sondern immer ein Mittel zum Zweck, um langfristig besser aufgestellt zu sein, das Endziel (also in unserem Fall die radikale und schnelle Transformation aller Lebensbereiche weg vom Kapitalismus und hin zu Klimagerechtigkeit, kurz die Revolution) zu erreichen. Man darf aber nicht den Fehler machen, zu glauben, dass sich kontinuierliches movement building irgendwann von selbst in Bewegungserfolge umwandelt, dass wir also nur immer weiter überzeugen, mobilisieren, wachsen müssten, um dann unsere Ziele irgendwann automatisch zu erreichen. Um das etwas anschaulicher zu machen, lasst uns das Ganze metaphorisch auf ein Fußballspiel übertragen: nur weil der Fanblock immer größer wird, spielt die Mannschaft nicht automatisch besser oder hat höher Chancen den Gegner zu besiegen.

Stattdessen braucht es Fähigkeiten, um unseren Gegnern (dem Staat, Unternehmen und anderen Institutionen, die die Menschheit ausbeuten und die Welt zerstören) Schläge zu versetzen und Strategien (Fußnote 1), um sie zu Fall zu bringen. Ohne diese wird jedes noch so gute movement building ins Leere laufen und damit enden, dass es viele Menschen gibt, die an dieser Welt gerne etwas ändern würden, aber sich immer weiter um sich selbst drehen, während der Kapitalismus ungestört um sich greift und die letzten Reste unserer Lebensgrundlagen vernichtet. Um einen Gedanken des Anarchisten Peter Gelderloos aufzugreifen: die Stärke einer Bewegung ergibt sich aus der Anzahl der Menschen, multipliziert mit ihren Fähigkeiten Ziele zu erreichen. Wenn letztere Null ist, wir also nicht die richtigen Taktiken wählen und beherrschen, dann ist es auch egal, wie viele Menschen wir sind. Sprich: dann führt auch jedes Movement building langfristig zu nichts.

Konkret auf Lützi übertragen bedeutet das:

Auch wenn viele Menschen von Lützerath gehört, dem Anliegen zugestimmt oder sogar vor Ort unterstützt haben, bringt es nichts, solange diese Menschen keine passende Strategie und nicht die notwendigen Skills haben, um Barrikaden zu verteidigen, die Polizei einzuschüchtern und zu vertreiben und RWEs Geschäftstreiben mit direkter Aktion zu stoppen.
Wie wichtig ist uns Klimagerechtigkeit wirklich, wenn unser „Kampf“ daraus besteht, uns passiv hinzusetzen und wegtragen zu lassen, anstatt den Bullen wirklich etwas entgegenzusetzen?

Im größeren Zusammenhang bedeutet das: auch wenn Lützerath dazu beigetragen hat, Klimagerechtigkeit in den öffentlichen Diskurs zu tragen, bringt das nichts, wenn wir als Bewegung keinen Plan haben, wie wir Macht aufbauen, unsere Gegner angreifen, fossile Projekte stoppen und das System abschaffen. Denn wo kommen wir hin wenn wir die Diskurse bestimmen, aber sonst nichts? Gut geframte Niederlagen, ein gut vermarktetes Nichts.

Natürlich kann es ein Teilerfolg sein, einen Ort zu schaffen, an dem wir Menschen radikalisieren, die Brutalität des fossilen Kapitalismus so grotesk sichtbar machen wie er ist und mithilfe von Medienaufmerksamkeit unsere Botschaften verbreiten.
Aber Teilerfolge kann es nur geben, wenn es eine langfristige, zielführende Strategie gibt, von der diese kleinen Erfolge ein Teil sind. Und diese langfristige Strategie kann doch nicht ernsthaft darin bestehen, immer wieder ähnlich funktionierende Besetzungen aufzubauen, um dann von dem Staat und seinen Handlanger*innen brutal weggeräumt zu werden.

Also lasst uns diesen Moment nutzen, um für uns, in unseren Bezugsgruppen und als Bewegung zu überlegen, wie es weitergehen kann, wie wir Macht aufbauen können und lernen, anzugreifen. Lasst uns Methoden finden, die unserer Wut angemessen sind, sodass sich in Zukunft kein Konzern und keine Regierung erfolgreich der Stärke unserer Bewegung in den Weg stellen kann.

Natürlich soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass es schon zahlreiche Angriffe auf das fossile System und seine Konzerne gab. Zu viele, um eine Liste davon zu machen, aber auf indymedia finden sich allein in den letzten Wochen genügend Beispiele. Allerdings ist es wünschenswert, dass die Methode des direkten Angriffs in der Bewegung eine größere Bedeutung kriegt, sowie die verschiedenen Angriffe strategischer miteinander zu kombinieren.

Literaturempfehlungen:
wie Gewaltfreiheit den Staat schützt von Peter Gelderloos
How to blow up a pipeline von Andreas Malm

1) Mit Strategie ist hier gemeint: ein Plan, der aus einem Endziel, Zwischenzielen und einer Kombination von Taktiken besteht, die so aufeinander abgestimmt sind, dass das Endziel erreicht wird.