Wir schreiben das Jahr 2024 und die genozidale Brutalität als Kern der USA war nie offensichtlicher. Die vielversprechensten Versuche in der jüngeren Geschichte aktivistische und anarchistische Kampagnen auf einer breiten Basis aufzubauen, haben ihre eigenen Ziele nicht erreicht. Stattdessen erleiden sie momentan heftige Vergeltungsschläge, während der Staat zeigt, dass er niemals freiwillig einen Teil seiner Macht aufgeben wird. Nichtsdestotrotz waren diese Kampagnen erfolgreich darin die Flamme des gewalttätigen, autonomen Angriff zu entzünden und innerhalb des ganzen Landes zu verbreiten. Es ist also verständlich, dass während die Welt weiterhin kollabiert und neue Infrastrukturen der Herrschaft, von Pipelines bis hin zu Cop Cities überall um uns herum gebaut werden, viele Anarchist:innen und andere radikale vorgeschlagen haben noch weiter zu eskalieren.
Da nun die Praxis des Angriffs von kleinen Affinitätsgruppen sich in den USA relativ weit verbreitet hat, sind viele von uns mit den Begrenzungendieser Praxis konfrontiert. Sporadische Angriffe scheinen uns nicht in Richtung eines aufständischen Bruchs zu bringen, in welchem der Staat die Kontrolle über die Bevölkerung verliert – und übereinensolchen Bruch hinaus, in Richtung einer revolutionären Veränderung selbst. Solche Begrenzungen sind nicht auf informelle Organisierung beschränkt – eine formelle (d.h. permanente und mit Namen agierende) Organisierung kann auch darunter leiden, dass Angriffe nirgendwo hinführen, währendim Gegensatz dazu informelle Organisierung und Koordinationen auch Angriffe ermöglichen können, die uns unseren Zielen näher bringen. Der letzte Ansatz wurde in den letzten Jahren in den USA nicht breit diskutiert, zumindest nicht in den letzten Jahren. Wenn Anarchist*innen also vorschlagen zu eskalieren, denken viele daran die Informalität zu verwerfen und eine Art formelle Organisierung zu beginnen. Insbesondere war einer der populärsten Vorschläge auf dem Tisch jener eine Guerillaorganisation aufzubauen
Der Guerillaansatz verspricht Lösungen für vieles zu bieten, was in denen gegenwärtigen anarchistischen Zirkeln fehlt: Hingabe [commitment], Konsistenz, etwas, was manche vielleicht eine Art „Intelligenz“ oder strategisches Denken nennen würden, und spezifische Projekte, welche auf ambitiöse langfristige Ziele abzielen, wie die Revolution. Jedoch gibt es zwei spezifische Probleme damit, wie der Guerillavorschlag in den letzten Jahren in den USA diskutiert wurde: einer hat mit Mutmaßungen über das Niveau an Klandestinität zu tun, welches für Eskalation notwendig ist, worauf ich später zurück kommen werde. Das andere ist die Frage, wie man sich organisiert. Indem wir eine formelles, spezialisiertes, militaristisches und oft auch hierarchisches Organisationsmodell übernehmen, opfert der Guerillaansatz zu viel von dem, was wir als Anarchist*innen hochhalten. Wie die Autor*innen von „The secret is to keep beginning“ in der letzten Tinderbox #4 fragen und damit ähnliche Fragen adressieren: „Wie bauen wir etwas jenseits einer einzelnen Affinitätsgruppe auf ohne eine Strukturen zu kreieren, die von uns verlangen, unsere Autonomie zu Gunsten einer größeren Einheit zu opfern?“
In anderen Worten, wie kann ein informeller organisatorischer Ansatz vertieft und ausgeweitet werden, um einige der Vorteile von Guerillaformationen miteinzubeziehen? Der Text „Der Wald des Handelns“ aus der Zeitung Avie de Tempetes (2021 publiziert als „la Forêt de l’agir“) bietet eine Hypothese als Antwort auf diese Fragen. Die Autor*innen schlagen vor, in „verstreuter Formation“ zu handeln, was bedeutet zu handeln „ohne kompakte Kolonnen zu formen, ohne permanente, nicht zu verteidigende Lager zu schaffen; handeln indem man jede Symmetrie innerhalb der Konfrontation zerstört […] Dann gibt es „autonomen Guerillakrieg“, welchen wir als einen langfristigen offensiven Kampf verstehen können, einen Kampf, der nicht auf einzelne Schläge reduziert werden will, sondern danach strebt, die Feindlichkeiten zu verlängern.“ Die Autor*innen schlagen eine Formation vor, die unabhängig von irgendeiner Art von Politik, von hierarchischen Strukturen und Repräsentationen ist (wie z.B. als Organisation mit Namen zu handeln).
Dieser Vorschlag gibt uns einige Ideen als Antwort auf die Frage, wie man sich von der Affinitätsgruppe hin zu einem breiteren koordinierten Netzwerk bewegt. Die Autor*innen stellen sich eine Ebene von „informeller Organisierung vor, die alleine nicht das gleiche Gewicht oder die gleichen Möglichkeiten haben. Sie ist eine Art Verstärker von unseren Aktionssphären, was auch immer diese sein mögen.“ Das könnte so aussehen wie „Informationen zu sammeln, Kontakte aufrecht zu halten, lokal verwurzelt zu sein, Debatten und Zweifel zwischen verschiedenen Konstellationen zu übermitteln, Logistik zu organisieren, Wissen zu teilen, sich um Zufluchtsorte und Orte zum Ruheschöpfen zu kümmern“ – Aktivitäten und Aufgaben, in denen wir uns bereits engagieren, welche aber, wenn sie denn weiter reichen als unsere Affinitätsgruppe oder unser lokales anarchistisches Netzwerk, unsere Aktivitäten vertiefen können, ohne Machtzentren oder permanente Rollen zu schaffen.
Anstatt dazu aufzurufen eine Organisation zu gründen, kann diese Art von Koordination dadurch initiiert werden, dass man persönlich einen Vorschlag macht, der diskutiert und zusammen entwickelt werden kann. „The secret is to keep beginning“ meint: „Wir können unsere eigenen Vorschläge voranbringen und unsere eigenen Interventionen ausarbeiten; wenn diese bei anderen ihren Nachhall finden, seien sie anarchistisch oder nicht, wird das Projekt geteilt. Verschiedene Interventionen sind dann in diesem geteilten Projekt eingebettet, ohne dass von Affinitätsgruppen oder Individuen verlangt wird, ihre Autonomie aufzugeben, um dazu beizutragen.“
Was sowohl von dem Guerillavorschlag als auch dem Vorschlag der verstreuten autonomen Formation, welcher im „Wald der Aktion“ hypothetisiert wird, unangesprochen bleibt, soweit ich das sagen kann, ist das soziale Element, welches aufständischen Elementen die Kraft gibt zu permanenten Brüchen mit der Autorität zu werden und sich in neue Arten und Weisen des Lebens und sich aufeinander Beziehens zu verwandeln. Mit „dem Sozialen“ meine ich generell, wie wir uns aufeinander beziehen (von alltäglichen persönlichen Beziehungen bis hin zu strukturellen Beziehungen wie staatlicher Herrschaft), aber auch, im Speziellen, wie (oder ob) wir als Anarchist*innen uns an Kämpfen zu Menschen orientieren, die nicht anarchistisch sind. Verfolgen wir Projekte auf so eine Art, dass wir versuchen Nicht-Anarchist*innen zu involvieren und mehr Leuten eine Erfahrung von Anarchie zu geben, wie in der Methode des spezifischen Kampfes, oder konzentrieren wir uns auf bereits existierende anarchistische Netzwerke, um unsere Fähigkeiten für Kämpfe und Angriffe zu vertiefen? Während manche Guerillaorganisationen versuchen ihre Angriffe so zu orientieren, dass sie vielleicht Massen von Leuten außerhalb des anarchistischen Milieus inspirieren, hat die Guerilla zum Großteil begrenzte Fähigkeiten für breitere soziale Agitation.
In diesem Sinne konzentriert sich der „Wald des Handelns“ darauf die Bedingungen zum Angriff für uns als Anarchist*innen zu fördern. Er diskutiert nicht, wie wir uns vielleicht auf Nicht-Anarchist*innen beziehen, oder wie wir uns vielleicht durch Mittel jenseits davon die „Feindlichkeiten zu auszudehnen“ gen Anarchie bewegen können, obwohl die „Feindlichkeiten auszudehnen“ tatsächlich vielleicht eine Reihe von Dingen meint, die sozialer sind, aber wissen es nicht, da sie hier nicht ausgeführt werden. Diese Auslassung erscheint besonders wichtig, da der Text nicht nur das Ausdehnen der Feindschaften in Richtung Aufstand diskutiert, sondern jenseits davon, in Situationen der allgemeinen Unordnung, in welchen sich der Staat zurückgezogen hat. Darüber hinaus betont der Text, dass es keine Garantie gibt, dass eine ersehntes Ergebnis wie autonome Selbstorganisierung aus einer Situation der allgemeinen Unordnung hervorgeht. Das ist offensichtlich richtig. Aber ist das „soziale“ Element, welches sichtbarere Aktivitäten erfordert, ein Schlüsselelement, welches uns in diesem Szenario in Richtung ersehnter, anarchischer Lebensweisen bringt?
Das Aufgeben von sichtbareren, „sozialen“ Aktivitäten basiert auf der Idee, dass eine Strategie der kompletten Unsichtbarkeit dem Individuum hilft der Festnahme zu entfliehen. Tatsächlich nehmen es viele seit der Green Scare in den USA für gegeben, dass es eine strikte Unterscheidung zwischen Individuen geben sollte, welche „im Untergrund“ handeln und solchen, welche „an der Oberfläche“ operieren (z.B. Individuen, welche Angriffe ausführen und solche, welche sichtbare Rollen in Kämpfen annehmen). Unglücklicherweise zeigt ein schnelles Überfliegen der weiter zurück liegenden und kürzeren Geschichte der Stadtguerilla, dass präventive Klandestinität überhaupt nicht garantiert, dass man identifiziert werden wird. Darüber hinaus verhindert unsere Neigung, Sichtbarkeit zu vermeiden, dass wir Subversion und Agitation jenseits eines kleinen Segments der bereits radikalisierten Bevölkerung zu verbreiten. Und vor allem in den USA bedeutet das, dass diejenigen, die dann übrig wären, um das Terrain der sichtbaren agitatorischen Rollen zu monopolisieren, also die wesentlichen Personen, die dann in soziale Kämpfe intervenieren und ihre Ideen und Methoden erklären würden, einige unser heimtückischsten Gegner:innen sind — Aktivist:innen und Linke.
Warum können wir gefangen zwischen der selbstaufopfernden Unsichtbarkeit der Guerilla und der egozentrischen Hypersichtbarkeit der Aktivist:innen, uns nicht andere Optionen ausdenken? Wenn es darum geht ein Level an Anonymität bei der Ausführung großer Aktionen zu bewahren, würde ich dafür argumentieren, dass wir nicht damit beginnen sollten, niemals unser Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, sondern damit Vorsichtsmaßnahmen zu studieren und zu entwickeln, wenn es darum geht Angriffe zu planen und auszuführen. Das schließt das Minimieren von Kommunikation via potentiell überwachten Geräten wie Handys mit ein, das Überprüfen unserer Umgebung nach physischer Überwachung, wenn wir raus gehen, das Zerstören oder Vermeiden von Fingerabdrücken und DNA-Spuren… aber detailliertere Vorschläge können unter Webseiten wie dem No Trace Project [https://www.notrace.how/] angeschaut werden. Als Anarchist:innen in den USA, die eine Eskalation vorschlagen, sollte eine Verbesserung dieser Vorbereitungen unsere erste Priorität sein. Wir haben in den letzten Jahren eine spannende Zunahme an der Bereitschaft von Anarchist*innen Sachen anzuzünden gesehen, aber damit einher ging ein sehr entmutigender Trend von Verhaftungen und Verurteilungen, welche durch bessere Vorsichtsmaßnahmen minimiert hätten werden können.
Wenn die Vorsichtsmaßnahmen nicht stand halten, sobald wir der Polizei bekannt sind und als potentielle Verdächtige gelten, dann kommt es letztlich nicht darauf an, ob wir unsere Verbindungen mit sichtbaren anarchistischen Milieus gekappt haben. Wenn der einzige Vorteil von vorbeugender Klandestinität jener ist, dass unsere Distanz zu Anarchist:innen an der „Oberfläche“ uns nicht „sofort“ zu den üblichen Verdächtigen macht, ist das kein Vorteil, den wir lange genießen werden. Das entscheidende Element vor dem Staat geschützt zu bleiben, liegen in den Vorsichtsmaßnahmen, wenn wir uns dazu entscheiden unsichtbar zu sein, und nicht unbedingt das Level an Sichtbarkeit in dem Rest unseres Lebens. Zum Beispiel kriegen wir mehr staatliche Aufmerksamkeit, wenn wir bei Universitätsbesetzungen auftauchen und mit unseren Ideen intervenieren; in der Nacht in welcher die Besetzung geräumt wird ein Bullenauto abzufackeln, verschafft uns weniger Aufmerksamkeit, insofern wir keine Spuren hinterlassen. Beides sind wichtige Sachen, aber aus verschiedenen Gründe, die wahrscheinlich offensichtlich sind, ist es ein viel größeres Sicherheitsrisiko beide Dinge in dem selben Kontext gleichzeitig machen, als die Dinge aufzuteilen und sich dafür zu entscheiden, nur eines der beiden zu tun.
Wir können uns drei verschiedene Ebenen der Aufmerksamkeit oder Sichtbarkeit für Menschen, die angreifen, vorstellen. Es gibt die absolute, vorbeugende Klandestinität, in welcher man unter einer falschen Identität lebt und alle Beziehungen kappt, die dafür benutzt werden könnten, um einen zu finden. Es gibt auch eine Art soziale Klandestinität, in welcher Menschen ihre soziale Aufmerksamkeit begrenzen oder sich vom anarchistischen Milieu und Räumen fern halten. Zum Beispiel waren die Mitglieder der Stadtguerillagruppe „Revolutionäre Zellen“ Teile von unterschiedlichen Projekten, die nur unwahrscheinlich repressive Aufmerksamkeit erlangen würden, um an anarchistischen Projekten an der Oberfläche dran zu bleiben, aber gleichzeitig würden sie nicht über ihre tatsächlichen Ideen in öffentlichen Räumen reden. Die letzte Option ist jene als anarchistische:r Agitator:in absolute Sichtbarkeit zu haben und öffentlich zu reden als auch Aktionen auszuführen (und dabei extrem vorsichtig zu sein). Es wäre unverantwortlich so zu tun, als würde die letzte Option weniger Risiko bergen und gerade in Situationen, in welchen sich die staatliche Militarisierung intensiviert hat oder es heftige Repression gegen einen bestimmten Kampf an einem bestimmten Ort gibt, desto riskanter wird es. Aber im Interesse unserer Vorstellungskraft rund um das Thema der Eskalierung des Angriffs auszuweiten und indem wir klarstellen, dass das wesentlichste und dringlichste Element beim Eskalieren des Angriffs das Entwickeln von besseren Vorsichtsmaßnahmen ist – ist es wert diese Option auch als eine von vielen möglichen Abläufen des Angriffs wahrzunehmen. Obwohl es ein größeres Risiko repressiver Aufmerksamkeit gibt, wenn wir in der Öffentlichkeit offen über unsere Ideen sind (zumindest auf einer individuellen Ebene), geht die Wette darum, dass dies notwendig ist, um anarchistische Ideen und Praktiken zu verbreiten und auf längere Sicht einen Sumpf zu kreieren, in welchen die Autoritäten nicht eindringen können. Wir müssen fähig sein, neue Gefährt:innen zu treffen und zumindest manche von uns müssen in öffentlichen Räumen diskutieren. In anderen Worten müssen manche von uns für unseren Feind sichtbar bleiben, um für potentielle Freund:innen sichtbar zu sein.
Damit sich der anarchistische Angriff in Richtung Aufstand bewegt, müssen zumindest manche von uns innerhalb dieses Ökosystems nicht komplett das soziale Element aufgeben, denn das Soziale – wie wir uns also aufeinander beziehen – ist es, was die Herrschaft bewahrt und ist deswegen die Lebenskraft von jeglichem aufständischen Widerstand gegen diese. So wie der:die Autor:in von „Strumbling Together“ in Ausgabe 4 schreibt: „Die Herrschaft bricht nicht zusammen, wenn die Infrastruktur nicht funktioniert oder für einen Moment unterbrochen ist. Solange die Autorität akzeptiert ist und hochgehalten wird, wird ihre Infrastruktur geflickt und so angepasst werden, damit sie vorwärts stolpern kann.“
Hoffentlich ist klar, dass ich das Wort „Sozial“ nicht benutze, um „miteinander rumzuhängen“ oder als einen Euphemismus für anarchistischen Tendenzen benutze, die jeglichen zerstörerischen Ansatz als „anti-sozial“ denunzieren und stattdessen todlangweilige Sachen wie Rätekommunismus vorantreiben. Alle von uns, die damit experimentiert haben, gewalttätigen, autonomen Demonstrationen beizuwohnen, koordinierte Angriffe zu planen, bei Krawallen, die andere bereits in den Straßen begonnen haben, mitzumischen, wissen, dass Angriffe im tiefgründigsten Sinne des Wortes sozial sein können. Angriff und Zerstörung, seien sie in Zeit und Ausmaß begrenzt oder von der Masse getragen, haben das Potential unsere Beziehungen zueinander und zu unseren Unterdrücker:innen vollkommen zu verändern und sich weit jenseits der kleinen Enklaven, welche wir bereits kennen und verstehen, zu verbreiten. Anarchie und Aufstand erfordern Zerstörung, viel mehr Zerstörung als die, für die die meisten von uns bereit sind, aber sie erfordern auch tiefgründige Veränderung in der Grundlage auf welcher wir uns alle aufeinander beziehen.
Diese eher soziale Orientierung entfaltet sich in persönlichen Begegnungen und dem Gestalten von Beziehungen. Eine Organisation zu gründen, sei sie klandestin oder nicht, ist eigentlich nicht die Art und Weise, wie sich strategische Intelligenz entwickelt – stattdessen entwickelt sie sich nämlich durch Erfahrung, Experimente, Kommunikation und Reflexion. Und diese Art von geteilter Intelligenz wird am besten auf unvermittelten Wegen, also persönlich, geteilt. Sichtbare Schauplätze wie soziale Zentren und öffentliche Events zu haben (zusätzlich zu privateren Konversationen mit unseren näheren Gefährt:innen) erleichtert es uns, dies zu tun. Sichtbarkeit ermöglicht es uns neue Gefährt:innen zu finden, die Gesellschaft mit unseren Ideen zu beeinflussen und Allianzen mit nicht-anarchistischen Rebell:innen auf unvermittelte Arten zu bilden. Das kann die Form annehmen, in soziale Bewegungen hinein zu agitieren und zu intervenieren, Veranstaltungen in sozialen Räumen zu gestalten und beizuwohnen, offene Diskussionen und Versammlungen zu organisieren, zusammen zu trainieren und Publikationen zu verteilen.
Das ist auch der Großteil von dem, was wir dazu brauchen, um uns in Menschen zu verwandeln, die fähig sind, Anarchie ganztags zu leben, anstatt nur in jenen flüchtigen, kleinen Momenten. Wie sozial-transformativ sind unsere Aktionen, wenn unsere Organisation so strukturiert ist, dass wir nur miteinander durch das Medium des Internets reden? Tragen Begegnungen von Angesicht zu Angesicht oder sogar Aktionen ohne Bekenner*innenschreiben, welche total anonym sind, nicht mehr von diesem Kern der möglichen Ansteckung? Anarchie bedarf die Arten von Beziehungen, die wir nicht entwickeln können, wenn wir uns den Großteil unserer Leben voneinander abriegeln und durch Bildschirme miteinander kommunizieren.
All das gesagt, sind die Risiken die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu ziehen in den USA besonders hoch und sie steigen zudem noch. Heutzutage ist es die Realität, dass jeder Kampf mit irgendeiner sozialen Kraft mit Anklagen der Verschwörung oder „kriminellen Organisation“ konfrontiert sein wird, sogar wenn die involvierten Individuen perfekte Vorsichtsmaßnahmen angewandt haben und der Staat unfähig ist, irgendjemanden für die Angriffe selbst zu verurteilen. Wenn es eine strikte Trennung innerhalb eines bestimmten Projektes zwischen Individuen, die sichtbar agitieren, und Individuen, die nur größere Aktionen im Sinn haben, gibt, kann dies manche Leute bis zu einem gewissen Grad schützen, aber wie wir gesehen haben, wird der Staat, konfrontiert mit der Unfähigkeit die tatsächlichen Täter:innen zu belangen, so ziemlich alle anklagen, die sichtbar aktiv sind. Auch wenn diese Anklagen letzten Endes nicht stand halten werden, ist es ein entkräftender Prozess, welchen man durchwandern muss. Also hören wir einfach damit auf, sichtbar aktiv zu sein?
Es liegt an uns allen, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Nicht alle müssen alles machen und tatsächlich sollten nicht alle alles machen. Weder sollten wir uns in einer Rolle oder der Art einer Aktivität für immer fixieren, unabhängig wie sich die Kontexte und Bedingungen vielleicht verändern. So billig wie es vielleicht klingen mag, macht eine Diversität an Methoden und Taktiken das gesamte anarchistische Ökosystem viel stärker und, aus Mangel an einem besseren Begriff, anarchischer. Es ist eine Frage davon, die Risiken zu verstehen, angesichts dieser zu planen und sich auf Repression vorzubereiten. Es ist wichtig uns selbst zu kennen und zu wissen welches Niveau an Repression wir vorbereitet sind durchzustehen. Niemand sollte Risiken in Kauf nehmen, die sie nicht auf sich laden wollen, oder für die sie vielleicht wirklich unfähig sind die Konsequenzen zu tragen – das würde schlicht und einfach den Machismus und die Hierarchien der Rollen nachahmen, die wir versuchen zu vermeiden.
Der Punkt ist, dass es zusätzlich zur Guerillamethode eine Menge Möglichkeiten auf dem Tisch gibt, unter diesen auch einige, die noch nicht erkundet wurden. Wir können die Art von Konsistenz, Koordination und Schärfe verfolgen, welche von den organisatorischen Methoden der Guerilla angeboten werden, indem wir uns unter Affinitätsgruppen koordinierten und informelle Projekte des Angriffs innerhalb breiter Netzwerke von Individuen und Gruppen, die an einer Eskalation interessiert sind, organisieren. Wir können besser darin werden, die Effektivität der Repression zu begrenzen, indem wir unsere Aktivitäten aufteilen und fortgeschrittener Ebenen von Vorbereitung und Vorsicht übernehmen. Wir können mit einer sozialen Orientierung experimentieren, die ehrlich bleibt und nicht unsere Leidenschaften für Gewalt und Zerstörung hinten vor lässt. Das Terrain der Sichtbarkeit muss nicht aufgegeben werden, bevor es nicht einmal bedroht ist.
Tinder Box #4; Sommer 2024.