Fenouillet (Haute-Garonne, Frankreich) 29. Juli 2024
Fünf Kugeln und die Rechnung geht auf?
Welchen Wert hat das Leben eines 28-jährigen Fahrers aus der „Gemeinschaft der Fahrenden„, wie es schamhaft in der Presse heißt, und der mit Würde versucht, sich am Steuer seines Fahrzeugs einer Polizeikontrolle zu entziehen? Es ist fünf Kugeln wert, von den Gendarmen abgefeuert, von denen eine die Kopfstütze durchschlägt und dann den Schädel des jungen Romas zersprengt. Es geschah am Donnerstag, den 25. Juli, kurz nach 22 Uhr in Fenouillet, einem nördlichen Banlieue von Toulouse. Er hieß Maïky und kam aus dem Lager Ginestous, das nur wenige Schritte entfernt liegt.
Bevor er in der Nacht für tot erklärt wurde, hatten sich sofort fast 200 Menschen vor dem Purpan-Krankenhaus versammelt, insbesondere um zu erfahren, ob Maïky eine Chance hatte, wieder gesund zu werden, und um auf die Entlassung seiner Lebensgefährtin und ihres wenige Monate alten Kindes zu warten, die sich neben ihm im Auto befanden. Die Uniformierten, die sich in großer Zahl vor dem Krankenhaus versammelt hatten, begnügten sich nicht damit, einen weiteren Mord begangen zu haben, sondern schossen Tränengas auf die Angehörigen, in einem Versuch, die aufsteigende Wut einzudämmen, nachdem der tödliche Ausgang bekannt war. Da Rache manchmal ein Gericht ist, dass man am besten warm geniesst und es an Zielen nicht mangelt: In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, den 26. Juli, wurde der Betonhersteller Lafarge angegriffen, dessen Werk sich in der Nähe des Lagers Ginestous befindet: Vier Betonmischer wurden innerhalb weniger Minuten in Brand gesetzt.
Den ganzen nächsten Tag ließ die kleine Menschenmenge vor dem Krankenhaus nicht locker und verlangte, dass man ihnen Maikys Leiche aushändigte, damit sie so schnell wie möglich über ihn wachen konnten. Dies geschah nach einer Autopsie, die so glasklar war wie ein Schuss der Pandora in den Kopf, während die Hinrichtung mit den beiden Schützen-Gendarmen nachgestellt wurde, bevor sie aus dem Polizeigewahrsam entlassen wurden, ohne dass die Staatsanwaltschaft einen Untersuchungsrichter eingeschaltet hätte, da dies den Nachteil gehabt hätte, dass die Angehörigen Zugang zu den Akten erhalten hätten. Der Staatsanwalt hoffte, dass sich die Angehörigen im Hinblick auf die für Montag, den 29. Juli, geplante Beerdigung beruhigen würden.
„Das ist eine runde Sache“, dachte er vielleicht sogar in seinem Sessel, bevor er sich auf den Heimweg machte, um die olympischen Ergebnisse des Tages, wie z. B. das Gewehrschießen für gemischte Mannschaften, anzuschauen. Am nächsten Morgen musste er sich jedoch mit der lakonischen Schlagzeile einer großen regionalen Tageszeitung auseinandersetzen: „Tödlicher Widerstand gegen die Staatsgewalt: Brände und städtische Gewalt in Toulouse, Millionen Euro Schaden“. Denn die Lastwagen von Lafarge waren nur ein Vorgeschmack auf eine Rache, die keinen Grund hatte, sich so schnell zu erschöpfen.
In der Nacht vom 26. auf Samstag, den 27. Juli, als der TGV-Verkehr in weiten Teilen Frankreichs noch weitgehend gestört war, hatten ein Chef und seine 60 Angestellten nichts mehr ausser ihren Augen zum Weinen. Kurz nach Mitternacht verwandelte sich nämlich das 1800 m² große Lager von CSI Sud-Ouest in ein riesiges Inferno, was nicht wenig ist, wenn man bedenkt, dass die Tätigkeit dieses Unternehmens eher schädlich als alles andere war: die Herstellung elektronischer Bauteile für den Konzern Cimulec, der sich selbst als „einer der führenden europäischen Hersteller von sehr zuverlässigen Leiterplatten für raue Umgebungen (Verteidigung, Raumfahrt, Luftfahrt, Kernkraft, Eisenbahn,…)“
bezeichnet.Und da sich diese charmante Firma genau in Fenouillet befand, also in der Gegend, in der Maïky von der Polizei ermordet wurde, und nicht weit vom Lager Ginestous entfernt, zögerte der Staatsanwalt keinen Moment, die Division DCOS (de la criminalité organisée et spécialisée), der Abteilung für organisierte und spezialisierte Kriminalität) mit den Ermittlungen zu beauftragen. Zumal die Feuerwehr alle Hände voll zu tun hatte, um das Feuer zu löschen, da etwa 100 Personen mit maskierten Gesichtern furchtlos hinter Barrikaden auf sie warteten und die zur Unterstützung eingesetzten Polizisten mit Steinen und Mörsergranaten beworfen wurden. In ihrem Elend mussten die Feuerwehrleute feststellen, dass das Feuer nun „flächendeckend“ war und der Schaden an der Firma CSI Sud-Ouest nun auf mehrere Millionen Euro geschätzt wird.
Aber warum sollte man sich auf so einem guten Weg aufhalten lassen, wenn der erste Reflex nicht darin besteht, Gerechtigkeit von denselben Leuten zu fordern, die für den Tod eines Angehörigen verantwortlich sind, sondern darin, seine ganze Wut auf eine Welt, die Gendarmen und Staatsanwälte hervorbringt, explodieren zu lassen? Direkt neben dem verstorbenen Unternehmen CSI Sud-Ouest befindet sich ein Gebäude von Toulouse Métropole, das schlüssigerweise das gleiche Schicksal ereilte: Ein etwa 100 Quadratmeter großes Gebäude des Ballungsraums und acht seiner Nutzfahrzeuge wurden in derselben Nacht von den Flammen verschlungen. Dies löste beim Bürgermeister von Toulouse (und Präsidenten der Metropolregion) mehr Emotionen aus als die fünf Kugeln der Gendarmerie, die auf den widerspenstigen Fahrer abgefeuert wurden, wobei Jean-Luc Moudenc sofort den Staat aufforderte, „alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Verantwortlichen zu finden und diese Handlungen mit Strenge zu bestrafen.“
Drei Tage nach dem Tod von Maïky kann natürlich niemand für die Unbekannten sprechen, die das Feuer in Fenouillet gelegt haben. Aber jeder kann dennoch etwas daraus lernen: Angesichts der Morde der Polizei muss noch eine ganze Welt eingerissen werden, und sie ist oft näher, als man denkt…
[Zusammenfassung der regionalen Presse (La Dépêche & France3), 29. Juli 2024] übernommen von sansnom