Etwa 20 Personen stürmen eine Baustelle der Coastal-Gaslink-Pipeline im Westen Kanadas. Sie sind mit Äxten und Brandsätzen bewaffnet, sie bedrohen Mitarbeiter:innen, kapern schwere Baufahrzeuge, zerstören damit die Wohnbaracken der Baustelle und am Ende die Fahrzeuge selbst. Es entsteht ein Schaden in Millionenhöhe. Das war vor knapp einem Jahr. Noch immer ist unklar, wer in der Provinz British Columbia den Bau der Pipeline sabotierte. Durch die Pipeline, die quer durch das Land indigener Bevölkerung verläuft, sollte demnächst Fracking-Gas zur Westküste fließen und von dort aus weiter nach Asien verschifft werden.
Ein Aufruf…
Ob du Unis, Schulen, Bäume oder Straßen besetzt. Du dir die Nächte um die Ohren schlägst und sabotierst. Ob du streikst oder darüber schreibst.
Die Gewissheit, dass das derzeitige System den Zusammenbruch des massiv geschädigten Ökosystems zur Folge hat, hat schon unzählige Menschen bewegt und in den Widerstand getrieben. Zehntausende gehen gegen das „Weiter-so“ der kapitalistischen Maschinerie auf die Straße, Menschen widersetzen sich massenhaft den zerstörerischen Großprojekten, die Infrastruktur des Systems wird blockiert und mutige Kämpfende setzen die Maschinen in Brand mit denen ihnen die Lebensgrundlage geraubt wird. Was wir im Kampf gegen die Zerstörung der Natur und dem resultierenden sozialen Elend brauchen, ist das gemeinsame Streben nach dem tatsächlichen revolutionären Bruch und der Freiheit aller. Nach einer Initiative, die alle Kompromisse und kosmetischen Korrekturen des Staates zurückweist und eine Transformation unserer sozialen Beziehungen herbeiführt. Denn die Zerstörung des Planeten durch das neoliberale Wirtschaftssystem ist untrennbar verbunden mit patriarchalen Denkmustern, Rassismus und Kolonialismus. Die Initiative dazu muss notwendigerweise von unten kommen. Aus den Kämpfen der Ausgegrenzten, aus den Kämpfen derer, die gegen das staatliche Rettungsversprechen ein selbstorganisiertes, solidarisches Miteinander setzen, aus den Kämpfen derer, die sehen, dass es keine Kompromisse im Kampf gegen die systemische Zerstörung der Biosphäre geben kann.
Wir sind uns sicher, dass selbstorganisierte Kämpfe die einzige realistische Antwort auf einen Umgang mit Klimawandel und ökologischer Krise sind. Nicht weil unsere ideologische Haltung dazu drängt, sondern einfach weil es keinen Hinweis, keine Erfahrung, kein Paradebeispiel darüber gibt, wie Staaten und Konzerne effektive Maßnahmen dagegen ergriffen hätten.
Ein paar hundert Jahre staatlich kapitalistischer Herrschaft und die Menschheit steht am Rande des Abgrunds. Radikale Bewegungen gegen umweltzerstörerische Bauvorhaben hingegen, haben oftmals bewiesen, dass sie die Kraft, Kreativität und Ausdauer haben, die gigantische Maschinerie der Zerstörung zu stoppen, zumindest partiell. Und selbst wenn sie das nicht schaffen, sind diese Initiativen Erfahrungen, auf denen wir aufbauen können. Diese Erfahrungen des Kampfes, im Hambi, im Danni, in Bure, gegen Castor-Transporte im Wendland, in der ZAD – haben die Effektivität führerloser, offensiver und solidarischer Bewegungen bewiesen. Diese Kämpfe haben auch bewiesen, dass wir Verbindungen auf Augenhöhe mit anderen Menschen aufbauen können, die unterschiedliche Erfahrungen und Methoden des Kampfes haben und dass wir die Spaltungsversuche des Staates entlang der Gewaltfrage zurückweisen können.
Wenn wir unseren Blick in weiter entfernte Territorien schweifen lassen, dann sehen wir, vom Norden Kanadas, bis nach Patagonien, von Kolumbien bis nach Indonesien wie indigene Gruppen, Gemeinschaften, Dörfer, Organisationen, seit hunderten Jahren einen Kampf gegen die koloniale Herrschaft der Staaten und gegen die Zerstörung der Natur kämpfen. Diese Kämpfe werden in ihrer Effektivität und Militanz häufig unsichtbar gemacht. Das wollen wir durchbrechen und uns inspirieren lassen.
Auch hiesige Kämpfe gegen den Klimawandel betonen mit ihren Aktionen die notwendige Dringlichkeit zum Handeln, auch wenn sie häufig mit ihren Forderungen bei Appellen an die herrschende Politik stehenbleiben, dieses Handeln umzusetzen.
Das Problem ist, dass die Klimakatastrophe logische Konsequenz ebendieser Politik ist. Und diese Politik hält weiter fest an der Logik vom finanziellen Profit Weniger, der rücksichtslosen Ausbeutung von Mensch und Natur zu diesem Zwecke und der Konkurrenz, als Motor für einen fortwährenden, technischen Fortschritt.
Wir denken, dass wir tatsächlich wirksame Erfolge erzielen können, wenn es uns gelingt unsere Kämpfe näher zusammen zu bringen; wenn wir Verbindungen der Solidarität und Bezugnahme vertiefen, wenn wir Räume für ökologische Projekte erkämpfen, Räume für Gegenangriffe, Sabotage, Räume um über die Geschichte der Kämpfe zu lernen. Vielen ist bewusst, dass es darum geht die gesamte kapitalistische Produktionsweise zu beenden. Es geht nicht darum den Gürtel enger zu schnallen, sondern eine Perspektive für eine öko-soziale Revolution zu entwickeln.
Region La Araucanía, Chile – In den frühen Morgenstunden des Freitag, 8. Juli 2022, auf der Straße von Traiguén nach Lumaco. Der Fahrer eines Holztransporters der Firma Forestal Mininco, wird von fünf bewaffneten Personen angehalten und gezwungen auszusteigen. Anschließend setzt die Gruppe den LKW in Brand und verschwindet. Die CAM (Coordinadora Arauco Malleco), eine Organisation der Mapuche zur Verteidigung ihres Lebensräume auf chilenischem Territorium, bekennt sich im Nachhinein zu der Aktion. Bei einem ähnlichen Angriff auf Forestal Minico 2021 wurde der 29-jährige Pablo Marchant Gutiérrez von Carabinieri erschossen. Ein Jahr nach der Ermordung finden dutzende Angriffe auf Rodungsinfrastruktur, deren Betreiber und die Sicherheitskräfte statt.
Dasselbe Spiel in Grün – Technokratie und Geoengeneering
Das Narrativ, dass wir Klimawandel und ökologische Zerstörung technologisch lösen werden, ist bestenfalls naiv, viel wahrscheinlicher ist es aber eine bewusste Strategie um aus den selbsterzeugten Problemen der Erdausbeutung noch weiter Profit schlagen zu können.
Der seit der Industrialisierung stetig wachsende Energiehunger der Weltwirtschaft wird oftmals nicht als Problem gesehen, sondern es wird stattdessen nach neuen, vermeintlich grünen Energiequellen geforscht.
So wurden zum Beispiel die jüngsten Durchbrüche in der Erforschung der Kernfusion von der Politik als rettende Nachricht ab gefeiert. Der Warnung der beteiligten Forscher:innen, dass deren Nutzung für die Lösung des weltweiten Energieproblems um Jahrzehnte zu spät kommen wird, wurde keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Neue, grüne Energiequellen decken derzeit nicht einmal den zusätzlichen Energiebedarf der Weltwirtschaft – von einem vollständigen Umstieg ganz zu schweigen. Stattdessen werden die schon existierenden ‚regenerativen‘ Energiequellen – Sonne, Wind, Wasser – in die Produktion integriert und erweitern das Angebot. Grund dafür ist der sogenannte Rebound-Effekt. Diesen Effekt verzeichnet der Kapitalismus seit über 150 Jahren: Die Dampfmaschine verbrannte Kohle zwar effizienter als zuvor, doch mit ihr nahm die Industrialisierung erst richtig Fahrt auf. Und so wurde – trotz sparsamerer Technik – insgesamt deutlich mehr Energie verbraucht.
Ein grüner, sprich klimaneutraler und nachhaltiger Kapitalismus ist schlichtweg unmöglich. Da stetiges Wachstum und Massenkonsum statt Nachhaltigkeit und der Profit Weniger statt das Wohlergehen und Weiterbestehen der ganzen Menschheit, zu seinen grundlegenden Prinzipien gehören.
Auch die Suche nach wirksamen Maßnahmen den Klimawandel abzuschwächen, beschränkt sich auf technologische Lösungen, anstatt das Problem an der Wurzel zu packen.
Aktuell sind das vor allem Technologien, die unter dem Begriff Geoengineering zusammengefasst werden. Diesmal mit absichtlichen menschlichen Eingriffen in das Klimasystem, soll die Erderwärmung reduziert werden. Beim „Sonnenstrahlungsmanagement“ sollen beispielsweise winzige Teilchen in der Stratosphäre ausgesetzt werden und Teile des Sonnenlichts zurück ins All reflektieren.
Wissenschaftliche Warnungen vor unvorhergesehen Wechselwirkungen, bei einem so massiven Eingriff ins Klimasystem, werden beiseite gewischt, mit dem Verweis, nur so könne unser aktuelles Wirtschaften und der Wohlstand bewahrt werden.
Ein weiterer Vorschlag mit Zerstörungspotenzial kommt aus dem grünen Wirtschaftsministerium. Das Verpressen von aus der Luft gefiltertem CO2 in tiefe Gesteinsschichten galt vor kurzem noch als Hochrisikotechnologie. Die CO2-‚Endlagerung‘ wurde wegen ihrer unwägbaren Auswirkungen auf die Umwelt untersagt. Seit kurzem ist ihr vormals entschiedener Gegner, Wirtschaftsminister Habeck, davon überzeugt, dass das Klimaproblem ohne diese Technologie kaum zu lösen sei.
Dieselbe Vorgehensweise hat uns, neben Ökozid, Erderwärmung und anderen Gräueln, schon einen Haufen hochradioaktiven Atommüll ohne Lösung für das Endlagerproblem beschert.
Für uns stellt dieses Vorgehen eine Herrschaftstechnik zur Durchsetzung neuer Technologien ohne Rücksicht auf die Folgen für Mensch, Natur oder Gesellschaft dar. Im festen Vertrauen an den technischen Fortschritt wird auf zukünftige Technologien verwiesen, die von denselben Playern erschaffen werden sollen, welche die bisherigen Probleme überhaupt erst verursacht haben. So wird von den herrschenden Technokrat:innen lösungsorientierte Handlungsfähigkeit zur Schau gestellt.
Die Wirtschaftsweise, die die bisherige Zerstörung unser Lebensgrundlage verantwortet, wird nicht in Frage gestellt. Genauso wenig wie die Machtpositionen dieser Player.
Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten
Wer sind diejenigen, die aus den Krisen und Kriegen der vergangenen Jahre immer ihren Profit schlagen und ihre Vormachtstellung sichern konnten? Wer ist verantwortlich für den Großteil der Emissionen klimaschädlicher Gase? Es sind nicht die ohnehin schon Ausgrenzten, die Geflüchteten und die Ärmeren. Es sind die Energiekonzerne, Banken und Rüstungsunternehmen. Es sind die Reichen, deren Lebensweise nur auf Kosten anderer existieren kann. Und im globalen Maßstab ist es der Lebensstil von Massenkonsum und Ressourcenverschwendung der Gesellschaften im globalen Norden.
Und so ist der Kampf gegen die Klimazerstörung unweigerlich ein Kampf entlang von ‚Klassenfragen‘. Das reichste 1% der Bevölkerung in Deutschland stößt deutlich mehr CO2 aus als die ärmeren 50% der Gesellschaft. Der Appell der Regierenden im Zusammenhang mit höheren Sprit und Energiepreisen, , „wir alle müssten den Gürtel enger schnallen“, ist eine Farce. Entfällt doch der Bärenanteil der Emissionen auf die weiterhin subventionierte Auto-, Gas- und Kohleindustrie, die industrielle Landwirtschaft und das Jetsetleben ihrer Bosse und Manager. Da hilft auch kein Wandel des Konsumverhaltens zu Elektro-SUVs und veganen Würstchen mehr.
Konsum ist nicht einfach nur individuelle Entscheidung, sondern unabdingbarer Bestandteil der kapitalistischen Wertschöpfung – es ist der Schritt, an dem Wert wieder zu Geld wird. Es gibt also ein mächtiges Interesse daran, das derzeitige Konsumverhalten aufrecht zu erhalten oder gar zu verstärken. Auch “grüner” Konsum wirkt in diesem Sinne. Deswegen wird trotz Doppel-Wumms, Klimakanzler und Verkehrswende hieran nicht gerüttelt werden.
Den CO2-Ausstoß lediglich höher zu besteuern, löst das Problem ebenso wenig. Das würde den CO2 Ausstoß an Reichtum koppeln – gerade die, die viel verursachen haben aber das nötige Geld.
Eine Kompensation durch gekaufte CO2-Zertifkate wiederum verschlimmert das Problem nur. Der Handel mit CO2-Zertifikaten eröffnet einen riesigen Markt für Land-Grabbing indem er immer größer Teile von Land für die (westlichen) Finanzmärkte zugänglich macht.
Da keine Reformpolitik ein gerecht verteiltes CO2-Budget auch nur anstrebt, geschweige denn durchsetzen wird, bleibt es die Aufgabe des ‚klimabewussten‘ Teils der Bevölkerung, das ökologische Gemeinwohl selbsttätig gegen das zerstörerische Eigentum durchzusetzen. Wer jetzt anmerkt, das komme aber letztendlich einer Enteignung gleich, trifft den Nagel auf den Kopf und hat die systemkritische Dimension des Klimaproblems erfasst.
Kolonialismus – ewiger Eckpfeiler des Kapitalismus
Länder des Globalen Nordens sind für mehr als zwei Drittel der historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich, Länder des Globalen Südens sind allerdings zwei bis drei Mal verletzlicher gegenüber Folgen des Klimawandels. Bereits diese Zahlen sind Indiz dafür, dass die Klimakrise nicht von allen Menschen gleichermaßen verursacht wird.
Der Reichtum des Nordens, der diese Ungleichheit erst hervorgebracht hat, begründet sich in der kolonialen Ausbeutung von Rohstoffen und von menschlicher Arbeitskraft durch Sklaverei. Angefangen mit den Silberminen in Potosi, über die Ausbeutung der Erdölvorkommen in Südamerika, dem nahen Osten und Nordafrika durch westliche Energiekonzerne, bis zu den Soja- und Palmölplantagen in den Regenwäldern.
So schreibt sich die Geschichte des Kolonialismus fort, der einher geht mit der Vertreibung von Menschen, der Abfuhr von Profiten gen Westen und einer steten politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Länder des globalen Südens , bis hin zu den Rohstoffen, die hier für die Umsetzung der “grünen” Energiewende benötigt werden. Kupfer und Lithium, für die Akkus der E-Mobilität, aus denselben kolonialen Minen in Lateinamerika, Uran für die “grünen” Atomkraftwerke aus Westafrika, Kobalt und andere seltenen Erden für Handys und andere Fortschrittselektronik aus dem Kongo und zum Schluss “grüner” Wasserstoff aus den wind- und sonnenreichen Wüsten Namibias.
Der dringend notwendige systemische Bruch mit einer kolonialen Ressourcenverschwendung wird unser Leben radikal verändern. Ein mit den Anforderungen einer realistischen Klimaperspektive konsistentes Alltagsleben (natürlich niemals frei von Widersprüchen) erfordert auch für uns eine unbequeme aber notwendige Neuausrichtung.
Aktuell finden immense Migrationsbewegung in den noch lebbaren Norden statt, die sich in Zukunft noch verstärken werden. Begründet zum einen in der, durch das globale Wirtschaftsgeflecht verursachten Armut, zum anderen in den geführten Kriegen zur Durchsetzung von politischem Einfluss und Sicherung von Ressourcen. Und zu guter Letzt in den, jetzt schon spürbaren, Folgen des Klimawandels, in der (neo-)kolonialen Naturzerstörung im globalen Süden.
Die Verursacher dessen, im globalen Norden, üben sich in militärischer Abschottung. Es werden Zäune gebaut und die Grenzen nach Süden systematisch mithilfe von Drohnen, Satelliten und Flugzeugen überwacht. Tausende Tote im Mittelmeer und in den Wüsten Nordafrikas und Mexikos werden in Kauf genommen. Pushbacks finden statt und eine weitere Vorverlagerung der EU-Außengrenze ist in Planung. Diejenigen, die es dennoch geschafft haben, werden institutionell drangsaliert und medial diskreditiert. Im Selbstbild der Länder des globalen Nordens sind aber die einzigen Verbrecher Autokraten wie Putin und Erdogan, welche die Steuerung der Migration als politische Waffe missbrauchen.
Mai 2016 – Bei einer mehrtägigen Protestaktion gegen die Braunkohle Industrie in der Lausitz wird der Tagebau sowie das Schienennetz an mehreren Stellen stillgelegt. Tausende dringen in das Werksgelände ein und setzen sich auf Schienen, Förderbänder und Kraftwerkszufahrten. Entgegen dem Willen der Organisor:innen von Ende Gelände, die Aktionen auf Sitzblockaden und Ankett-Aktionen zu beschränken, dringen mehrere Hundert Menschen auf das Gelände des Kraftwerks “Schwarze Pumpe” ein. Bei den Zufahrtsschienen zum Kraftwerk wird das Gleisbett abgetragen, durch dieses “Schottern” werden die Schienen unbefahrbar. Im Kraftwerk werden Türen aufgebrochen, Verteilerkästen sabotiert und Notaus-Schalter gedrückt. Als Folge des Zusammenspiels der verschiedenen Aktionen an diesem Wochenende müssen mehrere Kraftwerkstürme komplett heruntergefahren werden. Ein deutlich größerer Ausfall als die, vom Betreiber Vattenfall von vornherein geplante, Betriebspause im Tagebau für zwei Tage.
Kompromiss und Radikalisierung
Nicht nur in Fragen der Migration, die politischen Verantwortungsträger:innen radikalisieren sich – immer kompromissloser vermeiden sie es, die wirklich notwendigen Schritte zu gehen. Sie kleben an fossilen Energien und am Dinosaurier der Atomenergie. Je radikaler behauptet wird, diese und jene Technologien wären sauber und unendlich, desto radikaler und unmissverständlicher muss die Zivilgesellschaft und mit ihr auch eine Widerstandsbewegung auf die Energiepolitik für(!) die Konzerne reagieren. Dabei ist es nicht einmal besonders radikal, die wissenschaftlich attestierte Zukunft eines ökologischen Kollaps weiter Teile der Erde beim derzeitigen Kurs der Politik ernst zu nehmen. Im Gegenteil! Radikal gefährlich wird es, auf die ökologischen Konsequenzen der, achso nachhaltigen, neuen Technologien nicht vorbereitet zu sein.
Verkauft wird uns das von Klimaminister Habeck als Kompromiss. Die Grünen fabulieren, der Ersatz von Importen aus Russland werde eine Revolution der Erneuerbaren zur Folge haben. Tatsächlich wird jedoch anderswo auf dem Weltenergiemarkt munter bei anderen Autokraten eingekauft und Frackinggas aus den USA als Ersatz genommen. Der ‚Kompromiss‘ wird als Rechtfertigung genutzt, um als Exportnation mit relativ billig eingekaufter Energie konkurrenzfähig zu sein. Der Kompromiss kaschiert, dass es bei der ausgelobten Dekarbonisierung, schon jetzt um die Sicherung der für das neue Spiel notwendigen, Rohstoffe geht. So ist der Kompromiss keiner, sondern eine Doppelstrategie, ein Versuch radikal weiter zu machen wenn auch im neuen Gewand. In der öffentlichen Debatte heißt es jedoch, die Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung hätten mit ihren kompromisslosen Forderungen das Wesen der Demokratie nicht verstanden.
Angesichts dieser politisch-strategischen Verkehrungen in der Stigmatisierung von Radikalisierung und Kompromisslosigkeit, gilt für uns: Ob militant oder (zivil) ungehorsam, so radikal wie der Kapitalismus gemachte Klimawandel es erfordert, können wir kaum blockieren und sabotieren.
Es gibt nicht nur ökologische Kipppunkte, an denen sich das Klima-System unumkehrbar umorganisiert – es gibt auch soziale Kipppunkte. Punkte an denen entweder das von den Herrschenden verursachte Elend so offensichtlich wird, dass große Teile der Bevölkerung die Notwendigkeit sehen sich zu wehren. Oder an denen die Verarmung und der Ausbau der Repressionen so weit fortgeschritten sind, dass eine Umwälzung nahezu unmöglich erscheint. Entlang dieser Kipppunkte müssen wir unseren Widerstand weiterentwickeln. Die Initiative dazu muss notwendigerweise von unten kommen. Denn der Staat fühlt sich bis auf kosmetische Korrekturen einem dystopischen ‚Weiter-so‘ für das Wirtschaftssystem verpflichtet. Ein Festhalten an dieser ökologisch verheerenden, kapitalistischen Wirtschaftsweise kommt einer ignoranten Beschleunigung in Richtung Kollaps gleich.
Wenn jetzt die Innenminister der Länder analysieren, hier radikalisiert sich der Klimaprotest und stellt unser politisch-ökonomisches System als Ganzes in Frage, dann muss die klimapolitisch sinnvolle Antwort lauten: Ja, notwendiger Weise – alles andere wäre für den Planeten ein unverzeihlich sinnloser Kompromiss.
Ob als pinky & brain mit ihrem Tunnelsystem im ‚Untergrund‘ oder als Mönch im Lützerather Schlamm, ob als SUV-Stillleger:in oder Klimakleber:in, ob als nächtliche Saboteur:in oder als Diskursintervenierende, die versucht, die gröbsten Fake-Erzählungen von Kohle- und Atomlobby zu enttarnen – sämtliche Bemühungen sollten eigenverantwortlich durchgeführt und respektvoll nebeneinander stehen können. Und bestenfalls eng verzahnt an einem gemeinsamen Ziel arbeiten: Der Eindämmung einer fortschreitenden Naturzerstörung und dafür die Überwindung des zerstörerischen Systems von Unterdrückung, Rassismus und Patriarchat.
Diejenigen unter uns, die sich noch an das phasenweise gut abgestimmte Miteinander der verschiedenen Aktionsformen bei den Protesten gegen die Atommülltransporte ins Wendland erinnern, wissen vielleicht was hier gemeint sein könnte: Eine größere Sitzblockade auf den Gleisen und eine offensiv gegen Polizeikräfte verteidigte Schienensabotage in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander stellten für Bahn und Polizei in ihrer Gleichzeitigkeit eine größere Herausforderung dar als die beiden Aktionen einzeln.
Eine dynamische und breite Klimagerechtigkeitsbewegung tut gut daran, sich keine identitären und damit spaltenden Vorstellungen von ‚Militanz‘ oder ‚Gewaltfreiheit‘ aufdrücken zu lassen. Sicher keine leichte Aufgabe, wie wir aus unterschiedlichen heterogenen Bewegungen wissen. Aber es lohnt sich.
Viel entscheidender finden wir die Frage, ob es sich lohnt, an politische Verantwortungsträger:innen zu appellieren. Hier haben wir (ganz ohne Abgrenzungsbedürfnis) mit der obigen Analyse ein klare Haltung: Nein, es lohnt sich nicht – und es weckt falsche Hoffnungen, die eine Bewegung abhängig machen und lähmen können.
Gleiches gilt auch auf der globalen Ebene. Ein ernst gemeinter Internationalismus muss unsere Kämpfe hier, auch mit den Kämpfen gegen die Naturzerstörung weltweit, z.B. der LNG-Förderung in Kanada verbinden. Gegen ein global wirkendes System der Zerstörung, können wir nur angehen, wenn wir uns international aufeinander beziehen und uns auf Augenhöhe begegnen. Eine antikoloniale Perspektive für unsere Bemühungen um Klimagerechtigkeit ist allein deshalb notwendig.
Auch hier sollten wir nicht bei Appellen an die Weltgemeinschaft stehen bleiben. Wie viel es bringt, wenn Politiker:innen aus aller Welt gemeinsam das Ziel beschließen, den Klimawandel abzuschwächen, sehen wir an der konsequenten Umsetzung der Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz.
Eine ‚technische Lösung‘ des Klimawandels gibt es nur mit giftigen Minen, eingesetzten Militärregierungen und enteignetem indigenen Land, mindestens in der Peripherie. Und gegen die Menschen die vor diesem Elend fliehen, wendet sich die Metropole mit brutaler Gewalt.
Thoothukudi in Südindien – Der indo-britische Konzern Vedanta Resources betreibt hier die zweitgrößte Kupferhütte Indiens. Die Krebsrate, sowie das Auftreten von Atemwegsinfekten in der Stadt, sind seit der Eröffnung drastisch gestiegen. Seit 100 Tagen protestiert die lokale Bevölkerung zu Hunderttausenden gegen eine Erweiterung der Hütte. An diesem 100. Tag, dem 22. Mai 2018 stoppt die Polizei den riesigen Demonstrationszug, als die Demonstrierenden sich nicht aufhalten lassen, schießt sie gezielt in die Menge. 13 Menschen sterben durch die Kugeln, über 100 werden verletzt. Nach diesem schwarzen Tag, an dem Polizei und Politik sich endgültig als Handlanger der Kupferindustrie enttarnt hatten, musste die Betreiberfirma dennoch dem Druck aus der Bevölkerung nachgeben und die Kupferhütte wurde komplett stillgelegt.
Auch wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt…
Uns sollte klar sein, dass wir den schleichenden Zusammenbruch eines massiv geschädigten Ökosystems nicht komplett verhindern können, nicht den Verlust von Biodiversität, nicht die Ressourcen-Erschöpfung. Wir werden die Klimakatastrophe nicht verhindern können, da wir uns schon mittendrin befinden.
Es geht um den Verlust von Lebensräumen für Milliarden von menschlichem und nichtmenschlichem Leben. ‘Menschliches’ Leben ist schon jetzt ein Privileg und wird vor allem für die möglich sein, die es sich leisten können.
Eine Abschwächung der Erderwärmung auf 1,5 Grad ist bereits nicht mehr zu erreichen, müssten doch die globalen Treibhausemissionen innerhalb von wenigen Jahren auf Null reduziert werden. Die Herrschenden zeigen wiederholt, dass sie dazu nicht gewillt sind und wir sind (noch) nicht in der Lage einen solchen Wandel umzusetzen.
Das zuzugeben – ganz ohne Weltuntergangs-Pathos – lähmt uns nicht. Im Gegenteil: es sollte für uns und unsere Zusammenhänge die Frage öffnen, wie unsere Leben und unsere revolutionären Kämpfe zukünftig aussehen könnten.
Damit eine andere Welt möglich wird: Lasst uns solidarisch miteinander kooperieren, um ein würdevolles Leben leben zu können. Lasst uns unsere Ideen im Hier und Jetzt und schon innerhalb unserer Kämpfe und Aktionen realisieren. Wir werden uns nicht einlullen lassen, von den Beschwichtigungsversuchen der Regierenden.
Wir denken, dass wir nur eine ernsthafte Bedrohung werden können, wenn wir die Kommunikation miteinander suchen. Wir schlagen vor sich unter der Paraole „switch off- the system of destruction“ aufeinander zu beziehen und so unsere Kämpfe in einen gemeinsamen Kontext zu setzen.
Unser Handeln muss deutlich machen, dass es keine kapitalistische grüne Alternative geben kann, keinen Frieden mit den bestehenden Verhältnissen. Die Mittel wählen wir dabei selbst und keines steht in einer Hierarchie über einem anderen. Wir fänden es toll, wenn diese Idee Viele aufgreifen.
Dies soll kein Versuch der Vereinnahmung sein, sondern ein Aufruf, um weiter in die Offensive zu kommen und die bestehenden Kämpfe zu stärken. Lasst uns eine langfristige Aktionswelle in Richtung Revolte entfachen. Passt auf euch auf und seid mutig.
Für einen solidarischen Kampf unter katastrophalen Bedingungen – weltweit!
the future is still unwritten!
Anarchist:innen, Autonome und Sozialrevolutionär:innen aus dem deutschsprachigen Raum
Mai 2023